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Allianzmodell im Interesse der Kreislaufwirtschaft? - Ja. Allianzmodell im Interesse der Bauherrschaften? - Nein.

Schlieren, 20.September 2023

Positionspapier zum Merkblatt «Planen und Bauen in Projektallianzen» der SIA

Gesellschaft und Umwelt verlangen von der Bau- und Immobilienindustrie, auf den Weg zu Netto-Null und zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft aufzubrechen (Ziele setzen, messbar machen und einfordern). Das Bauen muss heute als zirkularer Prozess begriffen und in Kreisläufen gedacht werden. Dies erfordert zwingend den Aufbau eines durchgängigen Informationsmanagements über den ganzen Immobilien-Lebenszyklus, welches die Festlegung von KPIs (Benchmark-Ziele und Sicherstellung der Messbarkeit) und den Aufbau eines entsprechenden Controllings bezüglich Zielerreichung ermöglicht.

In der Planung und Ausführung von Neubau- und Renovationsprojekten ist die frühe vertragliche Einbindung («Integration») von System- und Produktherstellern und ausführenden Unternehmern zwingend, weil nur sie reale Daten in Bezug auf Baustoffe und Materialien, Herstellungs-, Bau- und Logistikprozesse einbringen können – sonst bleibt Netto-Null 2050 graue Theorie.

Im Rahmen des in der Schweiz verankerten SIA-Leistungsmodells ist der Eintritt der Unternehmer erst in der Ausführung vorgesehen. Da die Unternehmer-Ausschreibung produktneutral erfolgt, wird auch die Entscheidung, welche Systeme und Produkte eingesetzt werden sollen, erst zu diesem Zeitpunkt getroffen. Deshalb ist dieses Modell nicht kreislauffähig. Im Gegensatz dazu treten Planende und Ausführende in integrierten Abwicklungsmodellen gemeinsam in das Projekt ein und arbeiten gemeinsam und ganzheitlich integriert, statt einzeln linear.

Die Etablierung integrierter Abwicklungsmodelle für alle Projekte in der Bauwirtschaft ist deshalb ebenso zentral wie zwingend. Daraus sind in der Folge beträchtliche Innovationen und Skalierungseffekte zur Ressourceneffizienz zu erwarten: Gewohntes und Althergebrachtes kann hinterfragt werden – und Kreativität und neue Lösungen werden gefördert und gefordert.

Merkblatt «Planen und Bauen in Projektallianzen»: Eine verpasste Chance für eine kreislauffähige Bauwirtschaft.

Die Verfasser des Merkblatts «Planen und Bauen in Projektallianzen» der SIA (im Folgenden: «Allianzmodell») schicken ein sehr umfangreiches Dokument in die Vernehmlassung, und wünschen explizit eine Stellungnahme nur beschränkt auf einzelne Artikel. Im Interesse von Bauherrschaften, Gesellschaft und Umwelt arbeitet die Halter AG seit 2015 an der Einführung integrierter Abwicklungsmodelle und möchte mit diesem Positionspapier zu einer längst fälligen Grundsatzdiskussion beitragen.

Die allgemeine Stossrichtung des SIA-Merkblatts, das Initiator für ein allgemeingültiges integriertes Modell sein soll, geht in die richtige Richtung. Es legt die Vorteile von integrierten Modellen dar und möchte Wissen, Fähigkeiten sowie Produkt- und Prozessdaten von frühzeitig beigezogenen Unternehmern, Lieferanten und Herstellern nutzbar machen.

Leider wird dabei einerseits viel alter Wein in einem neuen Schlauch verkauft, und andererseits richtet sich das Allianzmodell in ganz wesentlichen Bereichen eindeutig gegen die Interessen der Bauherrschaften. Ersteres dürfte am Versuch liegen, das bestehende Phasenmodell mit dem dahinterliegenden SIA-Normenwerk weiterhin zur Anwendung bringen zu können. Zweiteres könnte darin begründet sein, dass das Allianzmodell im Sinn und Geist auf sehr anspruchsvolle Grossprojekte im Infrastrukturbereich mit bei Projektbeginn unkalkulierbaren Risikostrukturen ausgerichtet ist. Für die überwiegende Mehrheit der ‹normalen› Projekte wird dies in der Konsequenz dazu führen, dass neue, integrierte Abwicklungsmodelle keine oder nur massiv verzögert Verbreitung und Akzeptanz finden werden.


Kritik

1. Allianzmodell basiert weiter auf den linearen Phasen vom SIA-Leistungsmodell

Kultur lässt sich ebenso wenig vertraglich verordnen wie partnerschaftliches Verhalten. Eine partnerschaftliche Kultur muss auf der Basis von zielkonfliktfreien Partnerschaften gelebt werden. Gerade das lineare Abwicklungsmodell nach SIA beinhaltet jedoch eine Vielzahl von Interessens-konflikten, die Ursache von Streitereien sein können. Das Allianzmodell basiert nach wie vor auf dem SIA-Phasenmodell und somit liegt ihm die überholte Vorstellung des linearen Planens und Realisierens zugrunde. Es ist nicht damit getan, dass man im Vertrag die Absicht erklärt, dass alle Parteien stets im Sinne des ‹best for the project› agieren sollen, sondern es sind die Zielkonflikte systematisch zu vermeiden.

2. Kein Wettbewerb in Bezug auf CO2- und Kosten-Ziele

Das Allianzmodell geht davon aus, dass in frühen Projektphasen auch zukünftig keine verbindlichen Kosten- und CO2-Ziele bestimmt werden können bzw. stipuliert explizit, dass dies nicht wünschbar sei. Damit wird ein Innovations- und Kosten-Wettbewerb verhindert.

Das im Allianzmodell beschriebene gemeinsame Bestimmen der Zielkosten führt zu einer massiven Interessenkollision und zeigt einen dramatischen Zielkonflikt: In Unkenntnis der effektiv anfallenden Kosten, Zeitspannen und CO2-Ziele werden sowohl Zielkosten wie Zeitbedarf, aber auch CO2-Ziele in der Tendenz zu hoch festgesetzt, weshalb Einsparungen im Verhältnis zu diesen Zielwerten noch keinen tatsächlichen Mehrwert für die Bauherrschaft belegen*. Vielmehr wird dadurch einerseits die angestrebte Möglichkeit der finanziellen Kostenoptimierung ins Gegenteil gekehrt und andererseits – wenn das Projekt dann doch kostengünstiger abgeschlossen werden kann – eine ungerechtfertigte Gewinnbeteiligung erlaubt. Beides läuft der geäusserten Zielsetzung des Allianzmodells und vor allem den Interessen der Bauherrschaft zuwider, die darauf auch kaum reagieren kann. Dies hat in der Vergangenheit u.a. dazu geführt, dass sich die diesbezügliche australische Vertragspraxis gewandelt hat**.

Die integrierte Projektabwicklung muss es dagegen erlauben, die Produkt-, Qualitäts-, CO2- und Kostenziele basierend auf einem funktionalen Beschrieb gleich zu Projektbeginn verbindlich zu bestimmen. Dies ermöglicht ein frühes Variantenstudium mit einem Kosten- und Innovations-Wettbewerb und nachgelagert im Engineering-Prozess CO2-technische, finanzielle und zeitliche Optimierungen durch das siegreiche integrierte Wettbewerbsteam – basierend auf konkreten Material- und Ausführungskennwerten. Ein funktionaler Leistungsbeschrieb reduziert zudem das Nachtragswesen (das mit den detaillierten Ausschreibungsunterlagen im bestehenden Leistungsmodell aufgrund der Zielkonflikte leider zentraler Bestandteil ist) und ist damit eindeutig im Interesse der Bauherrschaft.

Ein transparent umgesetzter Wettbewerbsprozess, bei welchem die Kosten- und CO2-Ziele bestimmt werden, ergibt in der Folge für alle Beteiligten ein Alignment of Interests (gleichgerichtete Interessen). Es stellt sicher, dass alle Beteiligten von Projektbeginn an zielorientiert und koordiniert Lösungen entwickeln und teilen, und verringert die in der wirtschaftswissenschaftlichen Principal-Agent-Theorie beschriebene Gefahr, dass die verschiedenen Interessen der Beteiligten nicht übereinstimmen und deshalb jeder nur seinen eigenen Nutzen maximiert.

*siehe auch Ziffer 62 in Schurtenberger, P. (2021). Der Allianzvertrag. Schulthess Juristische Medien.

** ebenda

3. «Schönwettermodell», das den Bauherrn im Falle des Scheiterns im Regen stehen lässt

Gemäss Allianzvertrag werden zu Projektbeginn zwar Funktions-, Kosten-, Termin- und Nachhaltigkeitsziele formuliert, diese sind aber faktisch unverbindlich, weil vertraglich fixiert wird, dass Risiken und Chancen gemeinsam von allen Beteiligten (inkl. Bauherr) getragen werden und der Bauherr faktisch die Pflicht hat, die direkten Kosten trotzdem zu entschädigen. Zeigt sich kurz vor Ausführungsbeginn, dass die Ziele nicht eingehalten werden können, sind die Unternehmer in der Theorie zur Ausführung auf Basis der direkten Kosten ohne Gewinnzuschläge verpflichtet. In der Praxis werden sie jedoch kaum Konsequenzen zu tragen haben, weil die Bauherrschaft – mit Mehrforderungen konfrontiert – keine andere Möglichkeit hat, als nachzugeben, weil ein kostspieliger Projektabbruch oder -neustart als Alternative kaum in Frage kommt. In der Praxis wird die Bauherrschaft in einem solchen Fall immer die Kosten- oder CO2-Ziele nach oben anpassen müssen.

4. Allianzmodell nur geeignet für Projekte mit unkalkulierbarem Risiko

Der Einsatz des Allianzmodells sollte auf sehr komplexe Gross- und Infrastrukturprojekte wie Bahn- und Strassentunnels, Cargo Sous Terrain, Wasserkraftwerke, Solar- oder Windkraftanlagen in den Bergen, grosse Spital- und Bildungsbauten u.ä. beschränkt werden. Solche Projekte sind geprägt von einem sehr langfristigen und mit vielen technischen und politischen Unabwägbarkeiten versehenen Charakter, einer grossen Wahrscheinlichkeit, dass sich die Bestellung und die Anforderungen während dem Projektverlauf noch massgeblich ändern können und einer entsprechend faktisch unkalkulierbaren Risikostruktur. Hier kann es für den Auftraggeber – oft die öffentliche Hand – sinnvoll sein, das Allianzmodell anzuwenden, da das Projekt sonst nicht integriert und zirkulär durchgeführt werden kann.

Fazit

Grundsätzlich möchte jeder Bauherr die im Allianzmodell beschriebenen Prozess- und Risikostrukturen sowie Partnerschaften, die zu Interessenkonflikten führen, vermeiden: Das Allianzmodell vertritt deshalb die Interessen der Bauherrschaft in keiner Art und Weise.

Die Systemfehler im Merkblatt «Planen und Bauen in Projektallianzen» der SIA führen absehbar dazu, dass Bauherrschaften von ‹normalen› Projekten die neuen und für den Wandel notwendigen integrierten Modelle nur sehr zögerlich in Betracht ziehen und nach ersten ernüchternden Ergebnissen ganz davon Abstand nehmen.

Weil die Transformation der Bauindustrie in Richtung Netto-Null und Kreislaufwirtschaft massgeblich davon abhängig ist, wie die Bauherrschaften bestellen, besteht das beträchtliche Risiko, dass die Bauwirtschaft mit einem solchen Ansatz die dringend notwendige Neuausrichtung blockiert.